Es kommt dieser Tage nicht allzu oft vor, dass Bay­erns Keeper Jörg Butt jünger ist als sein Gegen­über. Dass der Mann im anderen Gehäuse sich satte drei Jahre und 211 Tage länger auf dieser Welt befindet als der Bayern-Tor­wart, dürfte abso­luten Sel­ten­heits­wert genießen. Edwin van der Sar aber wird in diesen Oktober tat­säch­lich schon 40 Jahre alt. Im Jahr 1992 debü­tierte er in der ersten Mann­schaft von Ajax Ams­terdam, vor 15 Jahren gewann er mit Ajax Ams­terdam die Cham­pions League. Vor ihm tum­melten sich damals Leute wie Frank Rij­kaard, Frank de Boer, Jari Lit­manen und Marc Over­mars.

Im Land der See­männer

Seit neun Jahren spielt van der Sar in Eng­land, im Land der Shil­tons und Sea­mans, wo die Halb­werts­zeit der Keeper noch einmal länger ist als im Rest der Welt. Im Gegen­satz zu den beiden genannten Brumm­bären, die mit Mitte 30 schon wie 50 wirkten und im 17. Jahr­hun­dert wohl noch eine ebenso lange wie ertrag­reiche Kar­riere in der Royal Navy hin­ge­legt hätten, ist van der Sar schnell und sprung­ge­waltig wie eh und je. Manche sagen gar, van der Sar sei in der Form seines Lebens.

Im ver­gan­genen Jahr stellte Edwin van der Sar mit 1311 Spiel­mi­nuten ohne Gegentor einen neuen Welt­re­kord auf – das ent­pricht fast 15 Par­tien, einer halben Bun­des­li­ga­saison. Am Ende des ver­gan­genen Jahres wurde van der Sar zum zweiten Mal nach 1995 zum Euro­päi­schen Tor­hüter des Jahres gewählt. Wäre Hol­land für seinen guten Wein bekannt, läge nichts näher als ein Ver­gleich zwi­schen dem ewigen Edwin und einem edlen Tropfen. Und von Käse­me­ta­phern halten wir mal Abstand… Kurzum: Je näher van der Sar der 40 rückt, desto besser scheint er zu werden.

Zwei Mil­lionen Pfund ließ sich Sir Alex Fer­guson im Sommer 2005 den damals schon 34-jäh­rigen Tor­wart kosten. Welch Per­fek­tio­nisten United ver­pflichtet hatte, wurde schnell klar. Als der 130-fache nie­der­län­di­sche Natio­nal­spieler nach seiner ersten Spiel­zeit in Man­chester auf die beein­dru­ckende Bilanz von 20 Spielen ohne Gegentor ange­spro­chen wurde, ent­geg­nete er nur, dass er ja bei etwas mehr als der Hälfte der Par­tien über­wunden worden sei. Sein knappes Fazit: »Das kann noch besser werden!« Da hatte er Recht.

Sir Alex: »Glän­zende Paraden«

Fer­guson ist auch dieser Tage voll des Lobes für seinen hageren Alters­prä­si­denten. Der United-Coach hob seinen Tor­wart vor dem Spiel bei den Bayern aus­drück­lich hervor. Der 4:0‑Sieg bei den Bolton Wan­de­rers am Samstag Abend sei zum großen Teil der Ver­dienst seines Schluss­manns gewesen, so Fer­guson, der den Gegner mit seinen »glän­zenden Paraden« zum Ver­zwei­feln gebracht habe.

Größtes Lob zollte auch der Bayern-Trainer dem bald 40-Jäh­rigen: »Er ist kein natür­li­cher, son­dern ein gemachter Tor­hüter«, for­mu­lierte Louis van Gaal etwas kryp­tisch über seinen Lands­mann. Was im Deut­schen noch nicht ganz ein­deutig wird, ist bei den Kol­legen aus Eng­land klarer: »Manu­fac­tured«, über­setzten sie, fabri­ziert also, maschi­nell her­ge­stellt. Ist Edwin van der Sar, die Tor­wart­ma­schine, deren feine Räd­chen nie zu rosten scheinen, am Ende tat­säch­lich in einer nie­der­län­di­schen Kee­per­fa­brik vom Fließ­band gelaufen?

Es müsste immerhin eine kleine, exklu­sive Talent­schmiede sein, denn van der Sars Kar­riere, die sich nun­mehr im 18. Jahr befindet, sucht ihres­glei­chen. Hol­län­di­scher Rekord­na­tio­nal­spieler, diverse natio­nale Titel, UEFA-Cup, Cham­pions League, Welt­pokal, Klub­welt­meister – es gibt wenige Pokale, die in der Samm­lung fehlen.

Für Louis van Gaal ist der Grund­stock dafür die enorme Stärke und Sta­bi­lität im Kopf des Kee­pers. Er habe immer die Phi­lo­so­phie beher­zigt, »dass man vor allem mit dem Gehirn arbeiten muss«, wurde van Gaal im Münchner Merkur zitiert. »Des­wegen ist van der Sar noch immer dabei.«

Der »flie­gende Hol­länder«

Edwin van der Sar zeichnen nach wie vor unglaub­liche Reflexe aus, selbst Schüsse aus kurzer Distanz lenkt er mit schier magi­schen Fähig­keiten um die Pfosten. Dazu ist er trotz seiner Größe, die tra­di­tio­nell Hüft­steif­heit nahe­legt, der viel gelobte »spie­lende Keeper« – und war es schon, lange bevor dies zur Grund­aus­stat­tung des letzten Mannes gehörte. (Auch das unter­scheidet van der Sar im Übrigen wesent­lich von den meisten in Eng­land gebo­renen Tor­hü­tern…)

Auf der Linie fährt der Hol­länder seine langen Glieder in einer beein­dru­ckenden Geschwin­dig­keit aus, klärt mit Hand und Fuß, wie es ihm beliebt – über die Straf­raum­be­herr­schung eines 1,98-Mannes müssen wohl keine aus­ufernden Trak­tate ver­fasst werden. Natür­lich sind Her­kunft und Haupt­be­schäf­ti­gung im Laufe der Jahre zu einem grif­figen Spitz­namen ver­schmolzen: So ist Edwin van der Sar zum »flie­genden Hol­länder« geworden.

Dar­über hinaus dürfen sich die Bayern keine großen Chancen aus­rechnen, sollte das Vier­tel­fi­nale nach 210 Minuten im Elf­me­ter­schießen ent­schieden werden. Denn vom Punkt lässt sich ein Edwin van der Sar fast noch wider­wil­liger über­winden als aus dem Spiel heraus. 2008 hielt er abschlie­ßend gegen Nicolas Anelka und sicherte ManU den Cham­pions-League-Tri­umph. Beim eng­li­schen Supercup, dem Com­mu­nity Shield, stand es im Jahr zuvor am Ende des Shoo­touts 3:0 für Man­chester. Van der Sar hatte alle drei Ver­suche des FC Chelsea ver­ei­telt. Rechts, rechts, links einen fallen lassen – und ManU hatte den Cup…

»The Men­ta­list«

Alles Kopf­sache! Chel­seas erster Schütze Claudio Pizarro hatte sich damals den Ball schon genüss­lich zurecht gelegt, Anlauf genommen – und sah sich dann einem gäh­nend leeren Kasten gegen­über. Van der Sar ließ sich erst vom Schieds­richter auf die Linie bitten. Auch vor den Elfern von Frank Lam­pard und Shaun Wright-Phil­lips zog van der Sar seine Psy­cho­spiel­chen ab.

Wenn er nach dem Ende seiner Kar­riere (wann immer das kommen soll) nicht wie Jean-Marie Pfaff sein Pri­vat­leben per Rea­lity-Soap unter die Leute bringen will (wovon aus­zu­gehen ist), könnte man sich Edwin van der Sar als Nach­folger des Aus­tra­liers Simon Baker in »The Men­ta­list« vor­stellen. Das »mind game« jeden­falls beherrscht er aus dem Effeff.

Als Nach­folger von van der Sar ist gerüch­te­weise Schalkes Manuel Neuer im Gespräch, dessen Name ja seit Monaten auch immer wieder in Ver­bin­dung mit dem FC Bayern gebracht wird. Der 24-Jäh­rige wird die Partie am heu­tigen Abend jeden­falls mit Argus­augen ver­folgen. Nicht weniger als 74 Lenze stehen dann behand­schuht auf dem Feld. Viel­leicht auch ein Welt­re­kord.

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